Lena Kuntze –
Dahinter steckt immer – ein Monster

Zunächst war da die Farbe, dann kam ein Wind blähte die Farbfläche zu plastischen organischen Formen auf und riß später alles in Stücke. Was blieb, waren in Strudeln und Strömen taumelnde Farbwolken. Dann erst trennte sich die Linie von der Farbe, das Zeichen vom Raum.

Isoliert schweben nun Pläne, Skizzen und Schriften wie beim Vorspann eines Films über den malerischen Gründen der Bilder der Düsseldorferin Lena Kuntze (*1966). Mal scheint man Ausgrabungs- oder Besiedlungspläne, dann wieder archaische Traumpfade zu erkennen. Dann gibt's da noch die Schriften, dort fügt sich jeder Buchstabe mühelos ins Schema, erfüllt seine Ansprüche an Platz und Nachbarschaft, bildet eine Einheit mit den gleichartigen Krakeln zu allen Seiten und verbindet sich mit ihnen zu einem homogenen Schriftbild.
Hier ist man sich einig, daß es sich ganz unzweifelhaft um eine sehr alte, uns nicht mehr bekannte, daher nicht entzifferbare geschriebene Sprache handeln muß. Halt eine von denen, die wir eh' nicht verstehen und die wir den Gelehrten überlassen sollten. Der Eindruck täuscht! Nichts ist echt, alles nur geklaut und abgewandelt. Hier ist keine versteckte Anleitung zur Betrachtung des Bildes verborgen, kein Zeichen gegeben, außer dem, was das Zeichen ist: Eben Form und nichts als Form, bis wir ihm den Inhalt geben

Wir das Tier

"Wir das Tier", 1996,
160 x 235 cm, Gouache/Papier


"Mittagsdämonen", 1996, 190 x 190 cm,
Gouache/Bambu
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Und dennoch ist da etwas, was sie uns vertraut erscheinen läßt, etwas, das uns glauben macht, mit ihnen bekannt zu sein. Das gleiche Gefühl beschleicht uns, betrachten wir die malerischen Sedimentschichten, die sich, oft auch nur scheinbar, unter den klaren, fest gefügten Schablonen der Zeichen verbergen. Monster, kleine garstige Ungeheuer, toben wie Derwische wieselartig über die Bildfläche oder lugen stillschweigend und unbeweglich, weil auf den Kopf gestellt, zwischen den Farbschichten hervor. Bannen die Zeichen die quirligen Wesen? Im Bild funktioniert’s! Die Figuren können sich nicht einfach in den Raum verflüchtigen oder aus dem Bild stibitzen, sondern werden durch das Zeichengitter in Schach gehalten.

Die einzelnen raumlosen Bildebenen, Farbe, Figur und Zeichen, überlagern und durchdringen sich schichtweise, bauen ein stabiles Gerüst, das nach hinten und vorn in beliebiger Fortsetzung denkbar wäre. Was entsteht, sind keine Realräume, sondern Gedankenräume, keine Orte zum Verweilen, sondern zum Durchwandern. Ein augenblicklicher Standort ist erreicht, der sich mit jeder weiteren vergehenden Sekunde ändert, die vordere Schicht des Bildes wird ein wenig weiter ins Innere des Bildes rücken, ein wenig mehr verschwimmen und sich zu den anderen Zeitsedimenten gesellen. Wieder ist ein Stück mehr der Vergessenheit anheim gegeben, für den Moment verloren und nur in neuer Form als gefühlte Erinnerung herbeirufbar.

Bedeutung und Inhalt erlangt das Bildkonglomerat, wenn der Betrachter mit seinen ureigenen Augen blickt, subjektive Selektion der freien Auswahl vorzieht und Identität als Selektion des Ganzen erkennt, auch wenn er dabei Gefahr läuft, seinen eigenen Monstern zu begegnen.

© Jutta Saum 2001

"Big World", 1998, 156 x 119 cm,
Gouache/Leinwand

Ab geht die Post!