Markus Ambach –
Das Individuum ist Viele

Wenn man bei Nacht aus einem Fenster schaut, es draußen recht dunkel ist und nichts wirklich Spektakuläres zu sehen ist, dann beginnt man, den Raum, der sich dort bietet, zu füllen. Bilder kommen, Gedankenfetzen reihen sich ein und das persönliche Kopfkino legt los. Manchmal aber, schaut man sich dabei auch ganz real selbst entgegen, dann nämlich, wenn plötzlich irgendwo da draußen ein Spiegelbild auftaucht - vielleicht im Fenster eines gegenüberliegenden Hauses. Oder der hell erleuchtete Nebenraum wird in der Reflexion sichtbar. Wenn man sich dort hinbewegte, wäre man mit sich schon zu Dritt.
Solche Erfahrungen sind es, die den Künstler Markus Ambach im Atelierhaus an der Further Straße zu seinen großformatigen fotografischen Arbeiten inspirieren. Fenster sind dabei häufig sein Motiv. Aber aus denen, die er inszeniert, blickt man nicht einfach nur heraus, sondern sie dienen gleichzeitig als Projektionsfläche und Spiegel für den Innen- und Außenraum. Die zeitliche Differenz des mehrmaligen Belichten eines Filmes ermöglicht dabei, daß sich nah und fern Liegendes, etwa Scheibe und Ausblick, in gleicher Schärfe nebeneinander auf der Bildfläche finden, und die Vervielfachung der eigenen Person möglich wird. Zwischen den Belichtungen hat der Fotograf nämlich Zeit, sich von einem Ort an den anderen zu bewegen. Die Position der Kamera ändert sich jedoch nicht.
So entdeckt man Markus Ambach immer wieder selbst auf seinen Bildern. Im Habitus des versonnen Denkers von Rodin, der seinen Kopf nachdenklich mit den Händen stützt, sieht man ihm an seinem Schreibtisch, aber auch der andere, der da aus dem Fenster seines Arbeitszimmers schaut und sich in der Fassade des Nachbarhauses als Fremder erkennt, ist er.

"Warten Vergessen 1", 1999,
165 x 110 cm, s/w-Photographie


"L'eclisse (Warten Vergessen 3)", 2000,
220 x 185 cm, s/w-Photographie/Diasec

Das im s/w-Photo festgehaltene komplexe Raumgefüge umspielt die Kamera, die aber selbst niemals sichtbar wird. Da gibt es kein fest gefügtes Verhältnis mehr von Betrachter und Objekt, keine feste Perspektive, kein lineares Gefüge von Vorher und Nachher, sondern das Individuum ist gleich mehrfach im Bilde, hat verschiedene Standpunkte, verschiedene Perspektiven. Und was sich im Bild zu ereignen scheint, geschieht sprunghaft und nur in poetischen Fragmenten, kommt nicht in Gang und bleibt in ständiger Wiederholung gefangen. Nicht von ungefähr hat Markus Ambach, der neben seinem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie auch Film studierte, eine Vorliebe für italienische Schwarz-Weiß-Filme der 60er Jahre.
Neben dem Fenster ist das Buch Hauptdarsteller zahlreicher Arbeiten von Markus Ambach. Fein säuberlich in Reihe und Glied stehen die Vertreter des gesammelten Wissens als Symbole gewachsener Tradition im Regal. Nimmt man etwas heraus, fällt alles um, entstehen Lücken und neue Nachbarschaften. Das ist der Zustand in dem Bücherregale für Markus Ambach als fotografisches Motiv interessant werden, eben dann, wenn sich Kultur nicht als gerader, objektiver Weg, sondern als gedanklicher Hüpferlauf durch die Geschichte, mit ständigen Rückgriffen nach individuellen Gesetzmäßigkeiten, entlarvt. Wie Meilensteine eines Gedankenraums mit zeitlichen, inhaltlichen und ideologischen Sprüngen stapeln sich die Druckwerke - teils mit neu entworfenen Covern oder gar erfundene Titel – nicht nur in Bücherwänden, sondern bevölkern in Freiheit entlassen auch schon mal Sessel und Fußböden. Unkenntlich und als sich endlos fortsetzende Mauer tauchen Bücher auch in seinen Plastiken auf. Steril in Vitrinen gepackt oder in einem Gehäuse aus Furnieren alte muffiger Schrankwände zum Möbiusband gewunden, werden sie zum sich verweigernden Objekt. Da hilft auch nicht das aufklärerische Licht dicker Glühbirnen oder Strahler, ihr Inhalt bleibt, obwohl vorhanden, im Dunklen.

© Jutta Saum 2002

"Do Chinese Have Freckles?", 2000,
165 x 110 cm, s/w-Photographie

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